Heute wird es seitens der BVB-Fans wie zu Beginn der Rückrunde der letzten Saison erneut einen Boykott des Auswärtsspiels in Hamburg geben. Die Initiative „Kein Zwanni“ ruft damit gegen sozial unverträgliche Eintrittspreise auf.
In der ganzen Diskussion wird Fußball entweder als Produkt betrachtet oder es wird reflexartig versucht, das Label „Produkt“ wieder vom Fußball abzukratzen. Neben der aktuellen Berichterstattung hatte zum Beispiel der Sportjournalist Hansi Küpper in seiner regelmäßig im Stadion- und Mitgliedermagazin erscheinenden Kolumne „Hansi Mondiale“ das Thema aufgegriffen. Zunächst ist dies sehr lobenswert, denn es zeigt einmal mehr, welch großes Echo die Aktion erzielen konnte und dass die Initiative „Kein Zwanni“ sich eine doch recht große öffentliche Plattform geschaffen hat. Was mir beim zweiten Blick jedoch missfällt, ist der Kanal, über den der Autor argumentiert.
Direkt im ersten Abschnitt ist von „Hardcore-Wirtschaftsliberalen“ die Rede. Außerdem schreibt Hansi Küpper: „’Fußball ist […] kein Produkt!‘ […] Und man muss beharrlich darauf hinweisen, dass die Grundsätze der freien Marktwirtschaft beim Fußball weitestgehend außer Kraft gesetzt sind.“ Dazu muss man sagen, dass es in Zeiten einer Wirtschaftskrise und wachsender wirtschaftlicher Ungleichheit (leider) überaus populär ist, auf das böse Bankensystem und marktwirtschaftliche Mechanismen im Allgemeinen zu schimpfen. Ich selbst bin in einer wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Disziplin zuhause. Nun zähle ich mich nicht gerade zu den Hardcore-Wirtschaftsliberalen. Ich möchte aber versuchen, diese Argumentationsposition im Rahmen dieses Artikels einzunehmen, um aufzuzeigen, dass man Fußball durchaus als ein Produkt betrachten kann und dass diese Position in der Diskussion um den derzeitigen Trend in der Ticketpreispolitik der Vereine durchaus vertretbar ist.
Machen wir einen kleinen Versuch. Betrachten wir das Spiel und seine Verpackung einmal als Ganzes. Als ein nacktes Wirtschaftsgut, das angeboten und nachgefragt wird. Als ein Produkt.
Nun ist es meistens so, dass bei der Herstellung eines Produkts verschiedene Produktionsstufen durchlaufen werden und verschiedene Akteure an seiner Herstellung beteiligt sind. Dies sind zu aller erst die Spieler auf dem Rasen. Ohne sie gäbe es dieses Gut nicht. Dazu zählen außerdem Trainer, Sportdirektor, Präsidium. Sogar der Platzwart, der die Bälle einfettet, und der Typ, der die Glühbirnen der Rasenbeleuchtung auswechselt (sollte diese Stelle bald frei werden und man von dem Gehalt jeden Tag eine warme Mahlzeit auf den Tisch bringen können, bitte e-Mail mit der Stellenausschreibung an mich). Dazu können noch viele andere Akteure gezählt werden, die an der Produktion mitwirken, die ich aber jetzt nicht alle einzeln auflisten kann und möchte.
Einen großen Anteil am Gesamtkunstwerk haben jedoch wir, die Fans. Der „harte Kern“, den man vor allem auf Steh-, aber selbstverständlich auch auf Sitzplätzen findet. Speziell in einem Traditionsclub gilt: Wir sind die Konstante, wir sind immer da. In guten wie in schlechten Zeiten. Und mit unserer Performance in der Kurve tragen wir dazu bei, dass das Produkt eine enorme Qualitätsgarantie und sogar -steigerung erfährt. Was gibt z.B. den letzten Ausschlag für Geschäftsleute aus den Logen und VIP-Tribünen, ins Stadion zu gehen? Sicher, ein gewisses Grundinteresse am Fußball und dem Verein ist vorhanden. Aber darüber hinaus? Immer wieder ist von der „Super-Stimmung“ die Rede, die im Stadion geherrscht hat. Zur Unterhaltung der Eventfans gehört nicht nur das Spiel auf dem Rasen, sondern auch das Spiel auf den Rängen, die Gesänge, die Choreos, etc. Die Anzahl der Spiele, die ein solcher o.g. Zuschauer pro Saison sieht, kann man wohl an einer Hand abzählen. Sie treten im Stadion bloß als Konsumenten auf. Doch dies ist auch eigentlich nicht weiter schlimm: Sie zahlen in der Regel ihren sehr teuren Sitzplatz und gehen wieder nach Hause. Oder sie unterstützen den Verein über die Saison hinaus evtl. durch hohe Sponsoring-Beträge. So weit so gut, Fußball ist schließlich Volkssport und somit für alle da, auch für VIPs. Die Passivität eines gewissen Zuschaueranteils im Stadion nehme ich hin. Oft stehe auch ich gerne ein ganzes Spiel lang nur da und bewundere die Kunst und Schönheit des Spiels, meist mit offenem Mund.
Das entscheidende dabei ist jedoch, und darum geht es bei der ganzen Diskussion um die Ticketpreise: Wenn eine Verdrängung der Produzenten des Teilprodukts „Stimmung“ stattfindet, wird das Gesamtprodukt Fußball verändert, genauer gesagt: Die Qualität nimmt enorm ab. Durch hohe Ticketpreise können sich die Leute auf den Stehplätzen (oder allgemein: Die Vielfahrer, die in der Regel für die Stimmung verantwortlich sind) einen regelmäßigen oder im Extremfall gar einen einzelnen Stadionbesuch nicht mehr leisten. Bricht man diesen Prozess weiter herunter, sind am Ende keine Produzenten der Stimmung mehr da – das Produkt ist mitunter ein völlig anderes. Durch die hohen Preise herrscht in der Struktur der Stadionbesucher eine hohe Fluktuation: Weniger Dauergäste, mehr Einmalbesucher. Das Stadion ist zwar immer ausverkauft, aber die Zuschauer sind selten die Gleichen. Diese sind wie oben angenommen schlichte Konsumenten und produzieren keine Stimmung. Die alten Produzenten können folglich nicht ersetzt werden.
Der zweite Punkt, der folgerichtig aus dem ersten resultiert: Ist die bestehende neue Preispolitik und somit neue Zuschauerstruktur ein Dauerzustand, kann keine neue Fangeneration heranwachsen. Der Nachwuchs an Stimmungsproduzenten fehlt also. Das Produkt in seiner ursprünglichen Form ist auf lange Sicht entstellt. Die Vereine sägen also letzten Endes an dem Ast, auf dem sie sitzen. Es ist in ihrem eigenen Interesse, Fußball als Volkssport zu erhalten und für alle zugänglich zu machen. So erhalten sie sich ihre Basis, der immer zu ihnen steht – ungeachtet der aktuellen sportlichen Situation (betriebswirtschaftlich gesprochen erhalten sie sich ihre Stammkunden). Ich bin weit davon entfernt, zu sagen: Die Eintrittspreise müssen flächendeckend radikal reduziert werden, „Steher für sieben Euro für alle!“ Nein. Vielmehr sollten Preise so designt sein, um allen Schichten die Chance zu geben, in den Genuss des Kulturgutes Fußball (denn nichts anderes ist es letztendlich) zu kommen.
Es geht also bei der ganzen Diskussion um nicht mehr oder weniger als um den Erhalt eines zentralen Teils der Fankultur. Die Vorhölle dessen, was uns blüht, durfte ich letzte Saison selbst am Beispiel Arsenal London am eigenen Leib erfahren. Soweit dürfen wir es nicht kommen lassen. Es geht auch nicht darum, die ökonomische Terminologie zu verteufeln oder marktwirtschaftliche Mechanismen in Gänze abzulehnen, so geschehen in der Kolumne von Hansi Küpper und ihn vielen anderen mit ähnlichem Tenor. Davor warne ich. Das ist unseriös und letzten Endes auch unglaubwürdig. Vielmehr sollte es das Ziel sein, seine Argumentationsgrundlage sowohl in der Tiefe als auch in der Breite zu erweitern, um unsere Diskussionspartner und -gegner solide und nachhaltig überzeugen zu können. Auch leisten wir einen Beitrag zum Erhalt dessen, was wir alle lieben: den Fußball.
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